Ausstellungseröffnung „Momente“, Retrospektive und malerische Impressionen aus Venedig von Martin Döhr.
„Kunst spiegelt einen Moment, in dem die Welt still steht und verzaubert“, so fasste der in Troisdorf lebende Maler Martin Döhr in unserem Gespräch vor knapp einer Woche sein Kunstverständnis in Worte. Ein Bekenntnis, das eine überaus positive Einstellung zum Leben, zur Welt und zur Rolle der Kunst ausdrückt. Es ist ein Bekenntnis zur Ästhetik, das aus allen Bildern der Ausstellung „Momente“ spricht, einer Retrospektive und Serie malerischer Impressionen aus Venedig.
Hier im Erdgeschoss sehen Sie einige ältere Arbeiten des Künstlers, mehrere Stillleben und zwei Landschaftsbilder; im ersten Obergeschoss erwarten Sie die Impressionen aus Venedig nebst einigen Grafiken des Studenten und Meisterschülers Döhr, im zweiten Obergeschoss schließlich weitere Arbeiten, die seine künstlerische Entwicklung beleuchten.
Farbenprächtig und leuchtend, so lässt sich der erste Eindruck der Stillleben Martin Döhrs beschreiben. Sie zeigen Früchte, die scheinbar banal und in flüchtig anmutenden Situationen gemalt sind. Neben der intensiven Farbigkeit stellen sich unmittelbare Assoziationen mit den Werken der französischen Impressionisten ein. Farbe ist das erste große Thema das Malers Döhr. Er modelliert die Gegenstände aus mehreren Farbschichten und mit kräftigem Pinselstrich. Die Lebendigkeit einzelner Farbflächen wird dadurch erreicht, dass jeder Farbeindruck, sei er nun rot, blau oder auch weiß, aus dem Zusammenspiel vieler Farben entsteht. Nichts ist nur Rot oder nur Weiß. Farbige Eindeutigkeit ist für Martin Döhr langweilig, erst die gebrochene Farbe ist geeignet, eine Sicht auf die Wirklichkeit zu ermöglichen, denn diese ist ebenfalls nie eindeutig.
Schwarz ist seine schwierigste Farbe, ihre Verwendung im Bild ein stetiges Experiment. Sie ist endgültig, nicht mehr zu verändern, die „Auslöschung der Farbe ins Nichts“, wie Döhr es formuliert. Deshalb sind seine dunklen Bildelemente fast immer vielfarbig, in jedem Dunkel finden sich Anklänge an Braun, Rot oder Blau. Reines Schwarz verwendet er sehr selten, vor allem als Definition räumlicher Tiefe. Die Farben entsprechen zudem nicht unbedingt der Gegenstandsfarbe, sondern sie drücken in ihrer Intensität und symbolhaften Expressivität die sehr subjektive Sichtweise des Künstlers auf sein Motiv aus.
Im Stillleben mit Blumenvase wird ein weiteres Thema Döhrs klar erkennbar: die Komposition nach klassischen Prinzipien. Während die Farbgebung im Vergleich zu den anderen Stillleben ungewöhnlich sanft wirkt und sich auf pastellene Töne konzentriert, tritt die klare Komposition umso deutlicher hervor. Der Bildraum wird durch Wände definiert, deren vertikaler Schnittpunkt akademisch korrekt den sogenannten Goldenen Schnitt impliziert. Die Tischkante formuliert die dynamisch ansteigende Bilddiagonale.
Klassische Kompositionsprinzipien, unübersehbare Anklänge an die Meisterwerke der Kunstgeschichte, wie verträgt sich das mit einem modernen künstlerischen Selbstverständnis? Der Künstler selbst gibt folgende Antwort: „Als moderner Künstler und Mensch des 20./21. Jahrhunderts bin ich (scheinbar) frei in meinem Weltbild und der Entwicklung meiner Bildwelt, also auch frei zur scheinbaren Unfreiheit: Vielleicht lebe ich mein persönliches Bedürfnis nach überprüfbarer Sicherheit, nach Objektivität, intellektueller Analyse und darstellerischer Gesetzmäßigkeit.“
Vielleicht ist es aber auch seine persönliche Faszination und Ehrfurcht angesichts der Meisterwerke der Kunstgeschichte, die er als Lehrer immer wieder Schülern vermitteln möchte. Döhr beschreibt die klassischen Regeln als „Maßstäbe, die ich bei großen Malern gelernt und gesehen habe, Tizian, Delacroix, Cezanne, …. Tizian: alle Farben in einem Bild, dadurch alle Farben mühelos integriert, selbst die buntesten und widersprüchlichsten Töne. Keine “tote” und überflüssige Stelle, alles erlebt.“ Martin Döhr begreift sich weniger als Künstler, der mit seiner Kunst die kritische Distanz zur Wirklichkeit seiner Zeit erleidet, sondern als immanenter Teil der Menschheits- und Kunstgeschichte.
Geboren in Bad Oeynhausen studierte er zunächst Grafik-Design in Krefeld, bevor er 1983 an die Kunstakademie Düsseldorf wechselte. Dort studierte er bei Rolf Crummenauer und Franz Eggenschwiler und wurde 1991 zum Meisterschüler ernannt. Nach dem Examen absolvierte er sein Referendariat in Düsseldorf, seit 1994 ist er als Lehrer für Deutsch und Kunst am Ernst Kalkuhl Gymnasium in Bonn tätig. 1996 übersiedelte Döhr nach Troisdorf, wo er mit seiner Frau und seiner Tochter bis heute lebt. Die Sicherheit seiner beruflichen Existenz erlaubt ihm die bereits beschriebene künstlerische Freiheit zum Klassischen, die während seiner Studienzeit an der Kunstakademie verpöhnt war. Der Weg des ernsthaften Künstlers in die darstellerische Abstraktion war vorgegeben. Bekanntlich führt niemals nur ein Weg zum Ziel und Martin Döhr wählte einen anderen Weg, der sich besonders an den Impressionen aus Venedig ablesen lässt.
Stellen Sie sich eine Filmszene aus einer überaus erfolgreichen Abenteuerfilm-Reihe der 1980er Jahre „Made in Hollywood“ vor: Der Schauspieler Harrison Ford steigt in Begleitung einer atemberaubenden Blondine vor den Augen einer verdutzten Statistenöffentlichkeit ziemlich verdreckt aus einem Gullydeckel, schaut sich kurz um und spricht die magischen Worte: „Ah, Venedig!“ „Ah, Venedig!“ dürfte den meisten Menschen in den Sinn kommen, sobald sie eines jener Motive gewahr werden, die sich mittels unzähliger Postkarten, Poster, Andenken, Film- und Fernsehszenen, privater Fotografien aber auch bedeutender Gemälde der Kunstgeschichte in das kollektive Gedächtnis nahezu hinein gebrannt haben.
„Ah, Venedig!“ begegnet uns auch in Martin Döhrs Bildern, aber warum Venedig und wie Venedig, das sind die Fragen, anhand derer sich die Bilder erschließen.
Martin Döhr ging gezielt auf Motivsuche, als er zum wiederholen Male Venedig bereiste und dort die Bildeindrücke sammelte und fotografisch festhielt, die als Basis für die hier ausgestellte Bilderserie dient. Die Stadt, deren Paläste und Zinnen mit ihren klaren, lichthellen Konturen im Kontrast stehen zu den dunklen Tiefen und verschwimmenden Lichtreflexen des allgegenwärtigen Wassers der Lagune, ist seit Jahrhunderten ideales Motiv für Künstler aller Gattungen. Für Martin Döhr ist sie zugleich Spiegelbild unserer selbst, da in jedem Menschen sowohl schwebende Heiterkeit, sonniges Leben, eine sorgfältig gestaltete Fassade, aber auch Anzeichen des Verfalls, des Alters und der Vergänglichkeit inbegriffen sind. In diesem Spannungsverhältnis erzählt das Leben seine Geschichten, erzählt Venedig seine Geschichten.
Betrachtet man ein Bild Martin Döhrs, so fällt zunächst die klare Definition des Motivs auf. Alle Häuser, Straßen, Plätze, Kanäle, Boote, Menschen, Pflanzen sind „nach der Natur“, also naturalistisch gemalt. Er selbst sagt dazu: „Ich finde nach wie vor, dass die Natur dem Künstler viel zu bieten hat, sie ist reich an Vorgaben, Entdeckungen, Widersprüchen und Harmonien, sie enthält aber auch den überall sichtbaren, existenziellen Schrecken der Vergänglichkeit, auf den sie eine Antwort von jedem Menschen verlangt.“ Eine naturalistische Annäherung an das Sujet erfordert laut Döhr ein hohes Maß an Ernsthaftigkeit und fördert eine bestimmte „Haltung“ zur eigenen Arbeit. Die Wirklichkeit in den Bildern Martin Döhrs ist jedoch nur auf den ersten Blick eine klar erkennbare. Er spielt mit der Wirklichkeit, mit der unmittelbaren Assoziation des Tatsächlichen, um dem geduldigen Betrachter genau jene Grenzen des objektiv Sichtbaren aufzuzeigen, die so gerne übersehen werden.
Dabei ist zwischen „Tagbildern“ und „Nachtbildern“ zu unterscheiden. Die Tagbilder zeigen klar konturierte venezianische Giebel- und Dächerlandschaften im sonnigen Tageslicht. Die Farben sind hell strahlende, rot, gelb, ultramarin-blaue und wenige grasgrüne Töne, sowie „gebrannte Siena“. Was wie ein zufälliger Ausschnitt aus dem Stadtprospekt Venedigs daher kommt, ist ein nach alle klassischen Regeln durchkomponiertes Gemälde. Die Häuserkanten und Firstlinien beschreiben gleich mehrfach das Kompositionsprinzip des Goldenen Schnitts. Alle Bilder des Künstlers sind kompositorisch geordnet. Die Geometrie der Bilder dient dabei nicht der Schaffung perspektivisch korrekter Räume, sondern die harmonische Komposition lenkt den Blick des Betrachters zu einem ruhigen Gesamteindruck. Wir haben wieder die Ästhetik eines Moments vor Augen, ein spontanes Abbild der Wirklichkeit, das durch Licht und Farbe seine Gestalt gewinnt.
Wo könnte man aber das Leben erkennen, das hinter den Fassaden pulsieren müsste? Wo sind die Menschen? Die Fenster eines gelben Hauses sind mit kleinen Markisen gegen das Sonnenlicht abgeschirmt, ein Hinweis auf seine Bewohner. Die Blumenkästen in den Stockwerken darunter bleiben jedoch leer. Eine Loggia im rechten Bildteil lässt keinen Blick auf das Innenleben zu, die Öffnungen bleiben dunkel, fast schwarz, genau wie bei anderen großen Fenstern. Diese dunklen Fenster lassen die kleinen Abgründe erahnen, die hinter der äußeren Schönheit stecken. Sie werfen die Frage auf, was denn nun die Wirklichkeit ausmacht, das was man sieht, oder eher die dunkle Ahnung dessen, was man nicht sieht?
Noch deutlicher wird das Thema bei einer Ansicht über die Dächer Richtung Dom San Marco, der sich aus dem Ensemble der roten Tondächer heraushebt. Auch hier stellt uns Martin Döhr ein ästhetisch schönes Bild vor Augen, das jedoch mit deutlichen Brüchen von der Postkartenidylle abweicht. Die romantische Dachlandschaft wird sanft, aber erkennbar aufgemischt. Ein Baugerüst verbirgt einen Teil des Bildes, hier besteht offenbar Sanierungsbedarf. Erneut fallen die dunklen, leeren Fenster auf, die weder mit Fensterscheiben geschlossen sind, in denen Lichtspiegelungen sichtbar wären, noch den Blick auf das Innenleben frei geben. Also wieder der Hinweis auf die kleinen Abgründe des Lebens.
Die intensiv-farbigen Nachtansichten Venedigs führen expressiver vom vermeintlich Objektiven zu den subjektiven Wahrnehmungen des Künstlers. Der Blick des Betrachters wird dabei nicht auf die Fassaden und Dächer, sondern auf die Kanäle und Häuserfluchten gelenkt. Vor dunkelblauem Nachthimmel heben sich die roten Fluchten ab, die in intensiv gelbes Licht der Lampen getaucht sind. Dieses künstliche Licht wird ebenso wie das weiße Mondlicht im leise plätschernden Wasser des Kanals reflektiert. Das Bild atmet die Wärme des endenden Tages, dessen Bewegung noch nachvollziehbar ist und der langsam in die stille Nacht gleitet. Dieser Reflex des Tages wird nicht nur durch das künstliche Licht deutlich, sondern durch die besondere Farbbehandlung. Döhr hat den Bildgrund vollständig rot grundiert. Erst danach wurden die Motive aus Blau, braun und gelb entwickelt. Bei einem anderen Bild sind die Spiegelungen im nun gänzlich stillen Wasser des Kanals klarer konturiert. Nur in dieser Spiegelung sind die oberen Geschosse der Häuser sichtbar, die in der direkten Ansicht außerhalb des Bildausschnitts liegen.
Nun zu den Menschen in Martin Döhrs Bildern: Meist sucht man sie vergebens, dort wo sie auftreten, erscheinen sie eher als Prototypen, denn als differenzierte Charakterdarstellungen. Im Bild „Kreis der Gondoliere“ herrscht geradezu drangvolle Enge in den Kanälen Venedigs. Menschen gehen über die kleinen Straßenbrücken, Gondoliere lenken ihre Gondeln mit Touristen durch die Gewässer. Nur: Kein Mensch blickt einen anderen an, Paare schauen parallel in dieselbe Richtung, aber ihre Blicke begegnen sich nicht. Eine laszive Schönheit im blauen Sommerkleid starrt vor sich hin, während der Gondoliere sie diagonal abwärts aus dem Bild hinaus befördert. Alle Figuren zusammen beschreiben eine Kreisbewegung, vielleicht ein Hinweis darauf, dass die Menschen ihre Fähigkeit zur Kommunikation verlieren, wenn sie sich ihr Lebensweg im Kreise dreht.
Etwas versöhnlicher stimmt eine Straßenszene am Abend. Das bunte Licht farbiger Fensterscheiben glitzert auf Straße und Häuserwand, als eine Frau, die der Betrachter von hinten sieht, durch eine schmale Gasse geht. Die Frau sieht gut aus, jedenfalls hat sich wunderbar geschwungene Beine. Wenn sie ihren Weg weiter geht, wird sie einem Mann begegnen, der ein Stück die Straße hinunter in einem Hauseingang lehnt. Hier ist dir Frage offen, ob sie miteinander ins Gespräch kommen, oder ob sie an ihm vorbei geht. Alles ist möglich.
Man könnte meinen, dass die Menschen in Döhrs Bildern das Leben komplizierter machen, ruhiger und schöner ist es dort, wo niemand zu sehen ist. Und die Fenster, hinter denen Menschen wohnen, sind ja dunkel. Verbirgt sich also hinter dem Ästheten und Farbenfreund im Grunde ein pessimistischer Künstler? Ich glaube nicht. Betrachten wir es mathematisch: Der prozentuale Anteil dunkler Stimmungen und problematischer Figuren an der Bildfläche ist gering. Es handelt sich aus meiner Sicht um ein Augenzwinkern, das uns vor Augen führt, dass nicht alles „Gold ist, was glänzt“, uns aber mit aller Farbigkeit und bildnerischer Ordnung eine positive Welt zeigt. Zwei Grafiken aus Döhrs frühen Jahren zeigen übrigens wundervolle Fensterszenen, die neugierieg machen auf das Leben vor und hinter der Glasscheibe. Daher möchte ich Ihnen zum Schluss das Bild eines flammend roten venezianischen Hauses empfehlen, mit herrlich weiß-bunt modellierten Pilastern und üppigem Grün um die blauen Fensterläden herum, die endlich den Blick auf bunte Glasfenster freigeben. Dieses Bild sprüht vor Energie und Lebensfreude, oder um etwas frei den Italienfreund Goethe zu zitieren: „Hier bin ich Mensch, hier will ich sein.“. Und so wünsche ich Ihnen viele ästhetisch schöne, nachdenkliche und augenzwinkernde Sichtweisen auf die Ausstellung „Momente“.
Beate von Berg
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